2. DIE SITZMEDITATION - Zazen



Die Sitzmeditation - Zazen (Zen-Meditation)


"Sitzen in Kraft und Stille"




Ausführliche Anleitung zur Sitzmeditation / Zazen

- Körperhaltung beim Zazen
- Atmung beim Zazen
- Gedanken beim Zazen



Erläuterung zur Sitzmeditation / Zazen

Meditation ist Konzentration.

Je mehr wir lernen, uns auf etwas zu konzentrieren, desto besser können wir entscheiden, ob wir unsere Aufmerksamkeit auf unser gegenwärtiges Tun und auf das richten, was wir im Moment vor der Nase haben, oder auf unsere Grübeleien und unser Gedankenkreisen.

Zazen ist keine Entspannungsübung, bei der man man seine Gedanken wandern lässt und in einen dämmrigen Zustand abgleitet, sondern eine Konzentrations- und Achtsamkeitsübung. Hierbei wird die oftmals so sprunghafte Aufmerksamkeit konzentriert auf ein Objekt gerichtet. In diesem Fall ist das die Atmung. Wenn wir unseren Geist darauf trainieren konzentriert und achtsam zu sein, sind wir mit zunehmender Übung besser in der Lage, im Hier und Jetzt zu sein bzw. "den Moment zu leben". Wir werden geistesgegenwärtiger, sind also mit unserem Geist mehr in unserer unmittelbaren Umgebung und bei unserem gegenwärtigen Tun als bei unseren alltäglichen Grübeleien. Das führt im Endeffekt zu Klarheit, innerer Ruhe und Gelassenheit.

Intensivtraining Zazen

Zazen ist ein Intensivtraining für den gegenwärtigen Moment. Es schult Ihre Fähigkeit, den Moment vollständig zu erleben, ohne sich in Grübeleien zu verlieren. Sie lernen, im Alltag ganz aufzugehen in dem, was Sie gerade tun.

Wenn Sie kochen, dann kochen Sie – ohne nebenbei zu grübeln. Wenn Sie etwas planen, dann planen Sie – ohne von störenden Gedanken weggespült zu werden. Wenn Sie einfach nur im Garten sitzen, dann sitzen Sie einfach nur im Garten – ohne sich im Strom Ihrer Gedanken zu verlieren. Sie lernen, voll und ganz präsent zu sein.

Die hohe Intensität des Zazen rührt daher, dass es radikal minimalistisch ist. Beim Zazen gibt es nichts, das Ihnen hilft, sich von Ihren Gedanken abzulenken. Es gibt nur Stille, den Atemstrom und den Gedankenstrom. Wenn Sie lernen, in dieser Reduktion vollständig präsent zu sein – ohne sich von Ihren Gedanken forttragen zu lassen –, wird Ihnen das im Alltag umso leichter fallen.

Wortbedeutung Zazen

Das Wort Zazen stammt aus dem Japanischen und bedeutet wörtlich "Sitzmeditation" oder "Meditation im Sitzen". Das Z wird dabei weich ausgesprochen, wie das S im deutschen Wort "Sonne", also: "Sasenn" (Lautschrift: [za.zɛɴ]). Genauso verhält es sich mit dem Wort Zen – es wird "Senn" ausgesprochen (Lautschrift: [zɛɴ]).



Die richtige Körperhaltung

Die Zen-Meditation wird in einer aufrechten und geraden Haltung durchgeführt, weil der Körper in einer solchen Haltung Signale an das Gehirn sendet, wodurch unser Geist zu verstärkter Achtsamkeit und Wachheit angeregt wird. 

Nebenbei regt eine aufrechte Körperhaltung einen positiven Gemütszustand an. Man empfindet mehr Selbstvertrauen und kommt in eine bessere Stimmungslage. 

Schon das achtsame Einnehmen einer konzentrierten Körperhaltung ist Meditation, da es unseren Geist fokussiert, indem wir ihn auf ein bestimmtes Objekt lenken - nämlich unseren Körper.

Da die meisten Meditationsanfänger nicht über ein spezielles Meditationskissen (Zafu) oder ein Meditationsbänkchen verfügen, stelle ich zunächst die korrekte Meditationshaltung auf einem Stuhl vor.



Übung: Im Folgenden jeden Schritt einmal kurz üben:

Bei der Meditation auf einem Stuhl, setzen Sie sich auf die Vorderkante des Stuhls. Die Knie sollten dabei etwas tiefer liegen als das Becken. Dadurch neigt sich das Becken leicht nach vorn, was der natürlichen Haltung der Wirbelsäule im aufrechten Stand entspricht. So bleibt die physiologische S-Kurve der Wirbelsäule erhalten, und Sie sitzen stabil und aufrecht, ohne einen Rundrücken zu machen.

Ein nach hinten geneigtes Becken führt oft dazu, dass der untere Rücken einsinkt und sich ein Rundrücken bildet. Gleichzeitig sollte das Becken aber nicht übertrieben stark nach vorne gekippt werden, da dies auf Dauer zu Verspannungen in der Lendenwirbelsäule führen kann.

Sitzen Sie möglichst auf der Vorderkante des Stuhls, sodass die Oberschenkel nicht vollständig aufliegen. Dadurch bleibt das Becken beweglich und kann sich frei in eine leichte Vorneigung einstellen. Sollte der Stuhl zu niedrig sein, sodass die Knie höher als das Becken liegen, kann das eine nach hinten gekippte Beckenhaltung begünstigen. In diesem Fall hilft es, ein festes Kissen unterzulegen, um das Becken leicht anzuheben.

Ihre Sitzhaltung sollte sich stabil, aber entspannt anfühlen. Wenn Sie mit der Zeit Verspannungen oder Schmerzen bemerken, überprüfen Sie Ihre Haltung und passen Sie sie gegebenenfalls an.

Sollte diese Art zu sitzen für Sie problematisch sein, zum Beispiel weil Sie mit ihrem Stuhl nicht die richtige Sitzhöhe herstellen können, setzen Sie sich mit geradem Rücken vollständig auf die Sitzfläche des Stuhls, ohne sich anzulehnen. Dadurch haben Sie immerhin mehr Stabilität, als wenn Sie auf der Vorderkante eines zu niedrigen Stuhls sitzen.

Wenn Ihnen aufgrund einer körperlichen Einschränkung die Kraft fehlt, ohne Rückenlehne zu sitzen, setzen Sie sich ruhig ganz auf die Sitzfläche und lehnen Sie sich an, so aufrecht, wie es Ihnen möglich und angenehm ist. Wenn Sie aus gesundheitlichen Gründen nicht oder nicht lange sitzen können, ist die Meditation grundsätzlich auch im Liegen oder im Stehen möglich.

Die Füße stehen fest auf dem Boden und sorgen für Stabilität. Außerdem entsteht durch den Bodenkontakt ein Erdungseffekt. In der modernen, wissenschaftlich fundierten Psychologie, insbesondere in der Körperpsychotherapie, wird Erdung als bewusste Wahrnehmung des Körperkontakts mit dem Boden verstanden. Dies kann die körperliche und emotionale Stabilität erhöhen.

Ihre Ober- und Unterschenkel sollten einen Winkel von mindestens 90 Grad bilden (siehe Abbildung oben). Ein kleinerer Winkel (bei stark angewinkelten Beinen) kann zu einem unsicheren Sitzgefühl führen und unnötige Spannung in den Oberschenkeln oder Waden erzeugen. Darüber hinaus kann eine zu enge Beinstellung die natürliche Beckenhaltung beeinträchtigen und die Atmung leicht einschränken.

Die Schultern werden leicht nach hinten genommen und sind entspannt. Dadurch wird der Sitz aufrechter, stabiler und konzentrierter. Dies wirkt sich positiv auf den Geist aus, denn es ist das Gegenteil von nach vorne fallenden, zusammengesunkenen Schultern, die eine depressive Gemütshaltung signalisieren und fördern können. Zudem weitet sich der Brustkorb, was den Atem freier fließen lässt.

Die Hände können locker in den Schoß, auf die Oberschenkel oder auf die Knie gelegt werden. Probieren Sie ruhig aus, was Ihnen am angenehmsten ist. Ich empfehle Ihnen jedoch die traditionelle Handhaltung der Zen-Mönche, da sie hilft, die Schultern leicht zurückzunehmen und so eine stabile, aufrechte Haltung zu unterstützen. 

Bei dieser Handhaltung, die auch Mudra genannt wird, liegt eine Hand mit der Handfläche nach oben im Schoß, während die andere Hand mit der Handfläche nach oben in die erste Hand gelegt wird, sodass hauptsächlich die Finger aufeinanderliegen. Die Daumenspitzen sind nach oben gewölbt und berühren sich leicht, sodass eine ovale Form entsteht.




Der Kopf ist aufrecht, der Unterkiefer entspannt. Das Kinn ist leicht nach unten geneigt, wodurch die natürliche Krümmung des Nackens unterstützt wird, was Spannungen und Schmerzen vorbeugen kann.

Zur Unterstützung können Sie sich vorstellen, eine Schnur würde durch die Wirbelsäule und die Spitze des Kopfes gehen und Sie aufrecht ziehen. Auch kann es hilfreich sein, sich vorzustellen, man würde die Zimmerdecke mit der Spitze des Kopfes abstützen. Dadurch entsteht der Eindruck, die Wirbelsäule strecke sich in die Länge. Dies begünstigt eine stabile Sitzhaltung und ein aufgerichtetes Rückgrat, ohne Druckstellen und Verspannungen.

Es gibt Menschen, die bevorzugen bei der Meditation geöffnete Augen, weil ihr Geist dadurch wach und klar gehalten wird, ohne in Tagträumereien abzuschweifen. Hierbei sind die Augenlider entspannt, sodass sie leicht absinken, und der Blick ruht in etwa zwei oder drei Metern Entfernung auf dem Fußboden.

Andere meditieren lieber mit geschlossenen Augen, weil sie sich so besser konzentrieren können, ohne durch visuelle Reize abgelenkt zu werden. Probieren Sie ruhig aus, welche Variante Ihnen besser liegt.

Beide Varianten haben ihre Vorzüge, und es gibt keine allgemeingültige Regel. Entscheidend ist, was Ihnen hilft, präsent zu bleiben.

Die Sitzmeditation (Zazen) auf einem traditionellen Meditationskissen (Zafu) oder einem Meditationsbänkchen

Meditation auf einem Meditationskissen


Meditation auf einem Meditationsbänkchen  

Die Zen-Meditation auf einem Meditationskissen beziehungsweise auf einem Meditationsbänkchen funktioniert im Prinzip genau so, wie auf einem Stuhl - sowohl was die Körperhaltung betrifft, als auch in Bezug auf die weitere Durchführung. Man sitzt lediglich nicht auf der vorderen Kante, wie es bei der Meditation auf einem Stuhl der Fall ist, sondern satt und mittig auf dem Kissen oder dem Bänkchen.

Bei beiden Varianten haben die Knie Kontakt zum Boden (Erdung s. o.), und das Becken liegt auf einem höheren Niveau als die Knie. Dadurch neigt es sich leicht nach vorne, was die gewünschte physiologische Stellung der Wirbelsäule unterstützt und eine stabile, aufrechte und konzentrierte Sitzhaltung ermöglicht.

Traditionellerweise wird das Zazen auf einem Zafu (Meditationskissen) empfohlen. Wenn Sie sich ein solches Kissen zulegen möchten, kann es sinnvoll sein, wenn Sie sich für eins entscheiden, bei dem Sie die Füllmenge (z. B. bei Kapok- oder Dinkelfüllung) variieren können, um die Sitzhöhe individuell anzupassen. Ein abnehmbarer, waschbarer Bezug ist von Vorteil, falls Ihnen einmal versehentlich Currysauce auf das Kissen kleckert.

Ich persönlich übe mein tägliches Zazen auch auf einem Zafu, bevorzuge jedoch die Seiza Sitzhaltung ohne Zafu oder Meditationsbänkchen, weil ich mich dadurch unabhängig von einem Gegenstand fühle, der zum Sitzen benötigt wird. Die Vorteile liegen auf der Hand: Nehmen wir einmal an, ich klemme mir am Wochenende mein Zafu unter den Arm und erklimme den Himalaya, um auf dem Gipfel eine Runde zu meditieren, und auf dem Weg nach oben springt plötzlich ein magischer Minotaurus aus einem Gebüsch und verzaubert mein Zafu in eine Bratwurst. Wenn ich dann gelernt habe, ganz ohne Hilfsmittel im Seiza Sitz zu meditieren, ist der Tag gerettet - und ich habe obendrein eine leckere Bratwurst als Wegzehrung. 

Meditation in Seiza Sitzhaltung


Die richtige Atmung

Beim Zazen wird traditionell durch die Nase geatmet, was mehrere Vorteile bietet. Die Nasenatmung fördert eine tiefere und gleichmäßigere Atmung, die den Parasympathikus aktiviert und so zu innerer Ruhe und Entspannung beiträgt. Zudem filtert, wärmt und befeuchtet die Nase die Atemluft, während die Mundatmung schnell zu einem trockenen Mund führt, was durch häufiges Schlucken die Meditation unterbrechen kann. Die Atmung durch die Nase sorgt außerdem für einen stabilen Atemrhythmus, wohingegen man durch den Mund oft unbewusst schneller oder unregelmäßiger atmet. 

Dennoch gilt: Wer aus gesundheitlichen Gründen nicht durch die Nase atmen kann, sollte nicht darauf verzichten zu meditieren – durch den Mund zu atmen ist in diesem Fall völlig in Ordnung und immer besser als gar nicht zu meditieren. 

Es gibt viele Atemtechniken mit unterschiedlichen Zielen, wie die Bauchatmung im Yoga zur Entspannung, die Wechselatmung im Pranayama zur Harmonisierung von Körper und Geist oder die Mundatmung bei körperlicher Anstrengung zur schnellen Sauerstoffversorgung. Für das Zazen ist die Nasenatmung besonders geeignet, da sie den Körper entspannt hält, ohne abzulenken, und den Geist klärt, um im gegenwärtigen Moment zu verweilen.

Bei der Zen-Meditation bleibt Ihr Mund geschlossen und Sie atmen in Ruhe durch die Nase ein, und durch die Nase wieder aus. 

Der einzelne Atemzug, auf den wir unseren Geist fokussieren, ist die kleinste Einheit der Meditation. Es geht nicht darum möglichst viele Atemzüge während einer Meditationsübung zu schaffen, sondern immer nur um diesen einen gegenwärtigen Atemzug. Es ist besser, einem einzigen Atemzug achtsam von Anfang bis Ende zu folgen, und wirklich nur bei diesem einen Atemzug zu sein, als hundert Atemzüge durchzuführen und mit seiner Aufmerksamkeit ganz woanders zu sein. 

Es besteht während der Meditation kein Grund zur Eile. Sie müssen sich nicht bemühen, zügig mit den einzelnen Atemzügen fertig zu werden. Genauso wenig brauchen Sie sich anzustrengen, besonders tief oder besonders langsam zu atmen. Lassen Sie Ihren Atmen einfach ganz natürlich fließen. Lassen Sie das Atmen einfach nur geschehen.  Machen Sie sich bewusst, dass Ihr Körper in der Lage ist, die Atmung ganz allein, ohne Ihr Zutun durchzuführen. Folgen Sie jedem Atemzug mit entspannter Konzentration vom Anfang des Einatmens bis zum Ende des Ausatmens. Das ist Ihre einzige Aufgabe während der Meditation.

Akzeptieren Sie jeden Atemzug so, wie er ist, ohne ihn zu bewerten. Ein tiefer Atemzug ist eben ein tiefer Atemzug. Ein flacher Atemzug ist eben ein flacher Atemzug. Es geht nicht darum, den einzelnen Atemzug gemäß einer bestimmten Vorstellung zu perfektionieren, sondern darum, sich achtsam auf ihn zu konzentrieren. Dadurch lernen Sie, auch im Alltag Dinge einfach so wahrzunehmen, wie sie wirklich sind, ohne ihnen reflexartig eine Wertung überzustülpen.

Eine bewährte Technik, den Geist auf den Atem richten, besteht darin, sowohl beim Einatmen als auch beim Ausatmen den Luftstrom in der Nase zu spüren. Dazu richten Sie ihre Aufmerksamkeit auf den Fluss Ihres Atems, wie er durch Ihre Nase strömt. Spüren Sie bewusst den Luftstrom in Ihrer Nase. Atmen Sie auf diese Weise mit achtsamem Bewusstsein ein und aus. 

Viele Menschen erleben das Phänomen, dass die einzelnen Atemzüge ohne ihr bewusstes Zutun ruhiger und tiefer werden, wenn sie sich bewusst auf den Fluss des Atems konzentrieren. Sollte das bei Ihren ersten Meditationsversuchen nicht der Fall sein, ist das kein Grund zur Beunruhigung. Es geht bei der Zen-Meditation schließlich nicht darum, eine besonders ruhige und tiefe Atmung herbeizuführen, sondern darum, sich in der Konzentration auf den jeweils gegenwärtigen Atemzug zu üben, so wie er gerade kommt. Es geht darum, einfach nur wertfrei wahrzunehmen, was ist.

Die Bauchatmung

Die Bauchatmung, auch Zwerchfellatmung genannt, bezeichnet eine Atmung in den Bauchraum, bei der sich beim Einatmen die Bauchdecke hebt und beim Ausatmen wieder senkt. Diese Technik wird in vielen Anleitungen durch die Nase ausgeführt, kann aber grundsätzlich auch durch den Mund erfolgen. Sie fördert Entspannung, reduziert Stress und verbessert die Sauerstoffversorgung. 

Während in manchen Meditations-Anleitungen die Bauchatmung betont wird, hat sich in meiner Erfahrung gezeigt, dass der alleinige Fokus auf den Atemfluss in der Nase für viele Menschen angenehmer ist. Besonders bei nervösen oder unsicheren Personen kann die Bauchatmung zusätzlichen Stress oder Unbehagen erzeugen, wenn sie das Gefühl haben, sie nicht „richtig“ auszuführen. Die alleinige Fokussierung auf den Atemstrom in der Nase hingegen ist schlicht und unkompliziert, wodurch die Konzentration auf den gegenwärtigen Moment erleichtert wird. 

Wer die Bauchatmung jedoch ganz natürlich und ohne Anstrengung praktizieren kann, darf und sollte sie selbstverständlich nutzen – in diesem Fall ist sie ebenso sinnvoll und förderlich für die Meditation.

Hier können Sie bei Interesse die Bauchatmung lernen


Atembetrachtung und Geistesgegenwart

Indem Sie Ihren Geist darauf trainieren, sich auf den einzelnen Atemzug zu fokussieren, lernen Sie bewusst im Hier und Jetzt zu sein. Sie werden geistesgegenwärtiger. Diese Fähigkeit lässt sich auf die einzelnen Situationen und Tätigkeiten Ihres Alltags übertragen. Mit zunehmender Übung werden Sie feststellen, dass Sie mehr bei dem sind, was gerade um Sie herum ist und bei dem, was Sie gerade tun, anstatt sich in unproduktiven Grübeleien und Gedankenkreisen zu verlieren.
 
Gerade in unserer heutigen Zeit, in der wir uns ständig mit Hilfe irgendwelcher Medien ablenken, in der unser Gehirn laufend durch Musik und Fernsehen und das Internet bespaßt wird, haben viele Menschen verlernt einfach mal zu sein und wahrzunehmen, was ist. 

Anstatt einen Waldspaziergang bewusst zu genießen, indem wir den Wald einfach in Ruhe auf uns wirken lassen, taucht bei vielen Menschen reflexartig der Gedanke auf: "Und jetzt? Nix los hier! Wie langweilig! Blöder Wald!" - Zack! Stöpsel in die Ohren, Musik an.

Nicht wenige Menschen kommen nach Hause und schalten als Erstes den Fernseher ein, einfach damit irgendetwas im Hintergrund läuft, was sie von ihren Gedanken ablenkt und ihnen die Angst vor der Stille nimmt. Sie haben verlernt, mit der Stille umzugehen, und das einfache Sein in der Stille genießen zu können.

Auch beim Einschlafen fällt es vielen schwer, sich in die Ruhe hineingleiten zu lassen. Stattdessen treten die unangenehmen Grübeleien und das unproduktive Gedankenkreisen in den Vordergrund, weil die gewohnten Ablenkungen plötzlich weg sind. Also: Fernseher anmachen, berieseln und ablenken lassen, bis einen der Schlaf übermannt.

Sitzen in Kraft und Stille

Das Sitzen und Atembetrachten in Stille, ganz ohne ablenkende oder beschäftigende Einflüsse von außen, trainiert unseren Geist darauf, sich auf das Unspektakuläre und Schlichte zu konzentrieren. Auf das, was die einfachen und stillen Momente des Lebens ausmacht.

Wir lernen wieder bei uns selbst zu sein und bei dem, was gerade ist. Dadurch finden wir innere Stille, kommen zur Ruhe und erleben die stillen Momente des Lebens intensiver. Diese Praxis macht uns unabhängiger von den Medien, die uns laufend ablenken und unterhalten sollen. 

Natürlich können Sie während Ihrer Meditation auch Meditationsmusik oder andere Musik, die Ihnen gefällt, hören. Dies kann besonders am Anfang hilfreich sein, da die Musik Ihren Gedankenfluss beruhigen und die Meditationsübung erleichtern kann. Langfristig führt dies jedoch dazu, dass Sie nicht lernen, Ihre Aufmerksamkeit aus eigener Kraft auf Ihren Atem zu lenken und Ihre Gedanken einfach vorüberziehen zu lassen. 

Dies ist vergleichbar mit dem Schwimmen mit einem Schwimmbrett. Zwar hält es Sie über Wasser und erleichtert das Schwimmen, aber ohne Brett würden Sie feststellen, dass Sie das Schwimmen selbst nicht vollständig erlernt haben. Daher empfehle ich, beim Meditationstraining auf jegliche äußere Hilfsmittel zu verzichten.

So lernen Sie am nachhaltigsten, sich sowohl während der Meditation als auch in Ihrem Alltag voll auf das zu konzentrieren, was im gegenwärtigen Moment ist und was Sie gerade tun, ohne dass Ihre Aufmerksamkeit ständig durch Grübeleien abgelenkt wird.

Übung: Die Atmung durch die Nase mit drei Atemzügen üben und dabei in der Nase spüren. 



Das Atemzählen

Wenn Sie möchten, können Sie die Meditation mit der Technik des Atemzählens begleiten. 

Um mit Ihrer Konzentration beim Atem zu bleiben, ist das Atemzählen eine hilfreiche und bewährte Technik in der Zen-Meditation. Stellen Sie sich vor, jemand fordert Sie auf eine Herde Schafe zu betrachten. Vielleicht schauen Sie auf die Schafe, schweifen jedoch gedanklich zu dieser oder jener Grübelei ab. Werden Sie hingegen aufgefordert, die Schafe zu zählen, führt das Zählen dazu, dass Sie sich mehr auf die Schafe als auf Ihre willkürlich produzierten Gedanken konzentrieren.

Bei dieser Technik zählen Sie in Gedanken nur das Ausatmen von eins bis zehn. Sie atmen wie oben beschrieben ganz natürlich ein, und beim Ausatmen zählen sie in Gedanken „eins“ und zwar so lange, wie das Ausatmen dauert. Also: "Eiiiiiiiiiiins". Danach atmen Sie wieder ein und zählen beim Ausatmen in Gedanken: "Zweeeeeeei". Und so weiter, bis Sie bei Zehn angekommen sind. Danach beginnen Sie wieder bei Eins. Das machen Sie so lange, wie Ihre Meditationssitzung dauert. 

Da Sie Ihre Aufmerksamkeit auf den Luftstrom in Ihrer Nase richten, kann es hilfreich sein, wenn Sie sich vorstellen, Sie würden die einzelnen Zahlen, die Sie zählen, gemeinsam mit dem Luftstrom ausatmen. Sie verstärken dadurch noch weiter die Verbindung zwischen Atem und Bewusstsein.

Es ist hilfreich das Zählen auf zehn Atemzüge zu begrenzen, damit Sie nicht in Versuchung geraten, so viele oder auch so wenige Atemzüge wie möglich während einer Meditationssitzung zu schaffen. Sie sind dann geistig mehr bei Ihrem Ehrgeiz eine bestimmte Anzahl an Atemzügen zu sammeln anstatt Ihren Geist einfach nur auf den gegenwärtigen Atemzug zu richten. Außerdem müssen Sie sich beim endlosen Weiterzählen zu sehr darauf konzentrieren, nicht den Faden zu verlieren und sind dadurch zu sehr mit dem Zählen selbst beschäftigt.

Übung: Drei achtsame Atemzüge üben und dabei beim Ausatmen die eins (eiiiiiiins), die zwei (zweeeeeei) und die drei (dreeeeeei) zählen. 


Ablenkungen beim Atemzählen begegnen

Sollten Sie gerade die Technik des Atemzählens praktizieren, haben Sie durch das gedankliche Abschweifen vielleicht vergessen, bei welcher Zahl Sie gerade waren. In diesem Fall fangen Sie wieder von vorne bei Atemzug Nummer eins an. Es ist nicht wichtig, immer ohne Unterbrechung bis zehn zu kommen. Das Zählen der Atemzüge ist lediglich ein Hilfsmittel und sollte keinesfalls allzu verbissen betrieben werden.

Gerade bei Anfängern kann es immer wieder zu Unterbrechungen beim Atemzählen kommen. Das sieht dann beispielsweise so aus: 1 – Unterbrechung – 1 – 2 – Unterbrechung – 1 – Unterbrechung – 1 – 2 – 3 – Unterbrechung – 1 – 2 – Unterbrechung usw. Lassen Sie sich von den Unterbrechungen durch störende Gedanken nicht beirren und üben Sie einfach immer wieder von vorne bei 1 weiter. 

Es ist möglich, dass Sie es bei Ihren ersten Meditationsversuchen nicht schaffen, fünf, geschweige denn zehn Atemzüge am Stück zu zählen. Machen Sie sich nichts draus. Es geht nicht darum, wie weit Sie mit dem Zählen kommen. Wichtig ist immer nur dieser eine Atemzug, bei dem Sie gerade sind. Wenn Sie es am Anfang schaffen, ab und zu mit ihrer Aufmerksamkeit bei einem Atemzug zu sein, sind Sie auf dem richtigen Weg. Mit zunehmender Übung wird Ihre Konzentrationsfähigkeit immer besser werden und Sie werden feststellen, dass es Ihnen immer leichter fällt, mit Ihrer Aufmerksamkeit beim Atem zu bleiben.

Machen Sie sich bewusst, dass Sie gerade erst damit begonnen haben, das Meditieren zu lernen. Als Sie als kleines Kind laufen lernten, sind Sie zunächst immer wieder nach zwei oder drei Schritten hingefallen. Aber Sie sind jedes Mal wieder aufgestanden und haben unbeirrt weitergeübt, bis Sie schließlich zehn Schritte am Stück schafften und dann zwanzig Schritte und irgendwann konnten Sie laufen ohne hinzufallen. Meditieren lernen ist ebenso ein Lernprozess.



Meditation mit einem Mantra

Statt des Atemzählens können Sie es auch mit einem Mantra versuchen. Mantras sind im traditionellen Zazen zwar nicht üblich, doch es gibt Menschen, die mit dieser Methode besonders gut klarkommen. Sie macht es besonders Anfängern leichter, im gegenwärtigen Moment zu bleiben, da die Worte oder Sätze eine Art „Anker“ bieten, der die Aufmerksamkeit immer wieder zurück zum Atem führt. Daher gibt es Zen-Meister, die das Meditieren mit Mantras befürworten.

Ein Mantra kann eine einzelne Silbe sein, ein Wort, eine Wortgruppe oder auch ein ganzer Satz. Es ist nicht zwingend erforderlich, dass Sie die Bedeutung des Mantras bewusst reflektieren – für die meditative Wirkung reicht es, es in Gedanken rhythmisch mit dem Atem zu wiederholen. Das Mantra begleitet dabei Ihren Atem, ähnlich wie die Zahlen beim bereits beschriebenen Atemzählen.

Ich möchte Ihnen hier das Mantra "ganz ruhig" vorstellen. Es ist sehr einfach und hat einen natürlichen Klang. Bei der Meditation mit diesem Mantra denken Sie bei jedem Einatmen "ganz" und bei jedem Ausatmen "ruhig". Dehnen Sie dabei die Worte so lange aus, wie der Atemzug dauert, also beim Einatmen "gaaaaanz" und beim Ausatmen "ruuuuuuhig". Konzentrieren Sie sich dabei auf den Luftstrom in Ihrer Nase und auf das Mantra.

Wie beim Atemzählen können Sie die Worte gefühlt durch die Nase ein- und ausatmen, um eine stärkere Verbindung zwischen Bewusstsein und Atem herzustellen.

Da das Gehirn bestrebt ist, Gedanken in die Realität umzusetzen, regen Sie mit dem Mantra "ganz ruhig" Ihr Gehirn bzw. Ihren Geist zur Ruhe an.

Sie können auch einen ganzen Satz als Mantra verwenden, beispielsweise beim Einatmen "Ich ruhe" und beim Ausatmen "in mir selbst".

Natürlich können Sie gerne Ihre eigenen Mantras erstellen, je nachdem, wie sie Ihnen gut und wichtig erscheinen. Achten Sie dabei auf eine positive Formulierung. Damit ist gemeint, Verneinungen in einem Mantra zu unterlassen. Vermeiden Sie Formulierungen wie "Ich bin nicht traurig". Es besteht die Möglichkeit, dass Ihr Unterbewusstsein das Wort "nicht" ausblendet und sich stattdessen lediglich das Wort "traurig" einprägt. Ein positiv formuliertes Gegenstück zu "Ich bin nicht traurig" könnte beispielsweise sein: "Ich bin glücklich".

Du bist, was du denkst

Sicher ist Ihnen schon mal der Satz "Du bist, was Du denkst" untergekommen. Damit ist unter anderem gemeint: Wenn wir uns gedanklich nur mit Negativem und Depressivem beschäftigen, bekommen wir mit der Zeit eine negative und depressive Einstellung und werden letztendlich auch von unserem Gemüt her negativ und depressiv.

Mit einem positiv formulierten Mantra können wir diesen Effekt nutzen, nur eben im positiven Sinne. Indem wir nicht nur während der Meditation an unser Mantra denken, sondern auch immer wieder tagsüber, können wir es so zu einem hilfreichen Lebensmotto werden lassen.

Schwierigkeiten mit Mantras

Wenn Sie spüren, dass ein bestimmtes Mantra einen Widerstand in Ihnen auslöst, lassen Sie dieses Mantra lieber bleiben. Beispielsweise könnte es sein, dass Sie bei dem Mantra "Ich bin glücklich" automatisch denken: "Aber ich bin ja gar nicht glücklich (aus diesen oder jenen Gründen)." Schon grübeln Sie darüber nach, was Sie alles unglücklich macht, anstatt bei Ihrem Atem zu sein.

Auch wenn ein solches Mantra dazu führt, dass Sie fortlaufend an einer Erwartung anhaften, kann das Sie daran hindern, während der Meditation oder auch im Alltag im gegenwärtigen Moment zu sein. Sie horchen dann ständig in sich hinein, ob der erwünschte Zustand nun endlich eingetreten ist, anstatt geistesgegenwärtig bei dem zu sein, was Sie gerade tun. Und Sie reagieren möglicherweise frustriert, wenn Sie diesen Zustand noch immer nicht erreicht haben.

In diesem Fall könnte ein neutrales Mantra für Sie sinnvoll sein, wie zum Beispiel das Atemzählen – oder Sie denken beim Einatmen "ein" (eiiiiiiiin) und beim Ausatmen "aus" (auuuuus). Ein solches Mantra kann hilfreich sein, um mit dem Geist bei der Sache zu bleiben, nämlich beim einzelnen Atemzug.


Pro und Contra positives Denken

Der Einsatz eines positiven Mantras sollte nicht dazu verführen, alle Dinge durch radikales positives Denken nur noch zwanghaft schön zu finden und negative Emotionen zu unterdrücken. Im Zen geht es darum, die Dinge zu sehen, wie sie wirklich sind. Also auch die Schattenseiten wahrzunehmen anstelle sie zu leugnen. Das gilt sowohl für die Dinge in unserer Umwelt als auch für unsere Emotionen. Wenn wir diese mit Bewusstheit und Ehrlichkeit wahrnehmen, sind wir achtsam und authentisch.

Tatsächlich hat das sogenannte positive Denken sowohl Vorteile als auch Nachteile. Beispielsweise werden positiv denkende Menschen seltener krank, können aber auch, wenn sie eine überzogene Erwartung an ihr positives Denken haben, durch die daraus folgende Enttäuschung in eine Negativspirale geraten. 

Links: 

Konzentration auf den Atem ist das Wesentliche

Egal, ob Sie sich für das minimalistische Betrachten den Atems entscheiden, für das Atemzählen oder für die Meditation mit einem Mantra, das Wesentliche der Zen-Meditation ist die Konzentration auf den Atemfluss. 


Übung: Üben Sie einmal für fünf Minuten die hier vorgestellte Sitzmeditation. Sollte Ihnen das zu lang erscheinen, reichen für den Anfang auch drei Minuten. Ist Ihnen auch das zu lang, versuchen Sie es zunächst mit drei bis zehn ruhigen Atemzügen in Meditationshaltung. Am besten, Sie stellen sich für die Zeit, die Sie sich vorgenommen haben eine digitale (nicht tickende) Eieruhr oder den Timer auf Ihrem Smartphone, dann müssen Sie nicht zwischendurch auf der Uhr nachschauen, ob die Zeit schon vorüber ist. 


Gedanken während der Meditation

Die unter Laien verbreitete Vorstellung, man dürfe während des Meditierens nicht denken ist nicht treffend. Das Gehirn denkt fortlaufend. Ähnlich einer Denkfabrik erzeugt es wie am Fließband Gedanken, ebenso, wie der Magen Magensäfte produziert. Das ist eben Teil seiner Aufgabe. Das gilt auch für die Zeiten in denen meditiert wird.

Gedanken sind im Grunde nichts anderes als elektrische Impulse und chemische Stoffwechselvorgänge im Gehirn. Sie entstehen durch die Aktivität von Nervenzellen, die miteinander Signale austauschen. Obwohl sie uns oft so greifbar und bedeutungsvoll erscheinen, sind sie in ihrer Essenz einfach ein natürlicher Teil der Gehirnfunktion – genau wie der Herzschlag oder die Verdauung. Diese nüchterne Sichtweise kann dabei helfen, Gedanken weniger dramatisch zu bewerten und sie während der Meditation einfach kommen und gehen zu lassen.

Versuchen Sie, während der Meditation die Gedanken einfach Gedanken sein zu lassen und ihr Vorhandensein zu akzeptieren. Es kann hilfreich sein, sich vorzustellen, die Gedanken seien Wolken, die am Himmel vorbeiziehen oder Blätter die auf der Oberfläche eines Baches vorbeitreiben. Vielleicht möchten Sie das Murmeln der Gedanken auch wie Naturgeräusche wahrnehmen, die im Hintergrund stattfinden - etwa wie das Zwitschern von Vögeln oder das Rauschen eines Baches. Wenn Sie neben einem rauschenden Bach meditieren, nimmt Ihr Gehör schließlich auch automatisch die Hintergrundgeräusche wahr. Das ist ganz natürlich.

Wenn Sie versuchen, einen aufkommenden Gedanken zu verdrängen anstatt ihm mit Akzeptanz zu begegnen, beschäftigen Sie sich in diesem Moment erst recht mit dem Gedanken und gleichzeitig mit dem Versuch des Verdrängens. Dadurch sind Sie doppelt von Ihrer Meditation abgelenkt. Und es ist ein Gefühl der Enttäuschung oder Frustration vorprogrammiert, weil Ihnen Ihr Vorhaben des Verdrängens nicht gelingen will.


Indem wir Gedanken als vorübergehende Phänomene betrachten und ihnen erlauben, zu kommen und zu gehen, ohne an ihnen festzuhalten oder sie zu bekämpfen, können wir eine tiefere Ruhe und Präsenz im meditativen Zustand entwickeln.

Es kann immer wieder passieren, dass sich während der Meditation bestimmte Gedanken in den Vordergrund drängen, die Sie von ihrem Atem ablenken. Plötzlich ertappen Sie sich dabei, wie Sie darüber nachdenken, dass der Wagen noch in die Werkstatt muss und ob man dort versuchen wird, Sie irgendwie übers Ohr zu hauen. Das Meditieren haben Sie darüber hinaus ganz vergessen.

Wenn so etwas passiert, ist das kein Grund sich zu ärgern. Machen Sie sich stattdessen bewusst, dass Sie in dem Moment, als Sie Ihr Abschweifen bemerkten, achtsam waren und kehren Sie einfach zur Betrachtung des nächsten Atemzuges zurück, ganz so, als wäre nichts passiert.


Die Gedankenaffen zähmen

Auch wenn wir während der Meditation unser Bewusstsein auf unseren Atem lenken, anstatt uns mit unseren Gedanken zu beschäftigen, möchte ich betonen, dass Denken nichts Schlechtes ist, das man verurteilen müsste. Denken zu können ist ein wesentlicher und wichtiger Aspekt des Menschseins. Es ist jedoch ein bedeutender Unterschied, ob uns unproduktive Gedanken willkürlich und ziellos wie eine Horde schreiender Affen ("Gedankenaffen") im Kopf herumturnen und uns ständig von dem ablenken, was für uns momentan relevant ist, oder ob wir bewusst, absichtsvoll und zielgerichtet denken.

Es geht nicht darum, Denken zu unterdrücken oder davor davonzulaufen, sondern darum, Ordnung in den Kopf zu bringen und Raum zu schaffen – sowohl für wirklich konstruktives Denken als auch für das einfache Sein im gegenwärtigen Moment.

Mit Meditation können Sie Ihre Gedankenaffen zähmen. Mit "zähmen" ist gemeint, dass die Affen nicht hinausgeworfen werden, sondern Ihr Gehirn weiterhin Gedanken produziert, das Denken jedoch geordneter, ruhiger und produktiver abläuft. Meditation ist eine ausgezeichnete Methode, um einen Zustand der Ruhe und Klarheit im Geist zu kultivieren.


Du bist nicht deine Gedanken

Ebenso wie der Satz "Du bist, was du denkst" wahr ist, ist auch der Satz "Du bist nicht deine Gedanken" wahr. Diese Leitsätze widersprechen sich nicht, sondern ergänzen einander.

Wenn wir verstehen, dass wir nicht unsere Gedanken sind, können wir eine gesunde Distanz zu ihnen wahren. Diese Distanz ermöglicht es uns, Gedanken wertfrei zu betrachten, anstatt uns mit ihnen zu identifizieren.

Um dies zu verdeutlichen, lohnt sich ein Blick darauf, was Gedanken eigentlich sind und wie sie entstehen. Gedanken sind - wie bereits erwähnt - das Ergebnis elektrischer Impulse und biochemischer Prozesse im Gehirn. Diese Prozesse sind wiederum Reaktionen auf Reize aus unserer Umwelt, kombiniert mit genetischen Prägungen und individuellen Erfahrungen. Gedanken sind somit nicht losgelöst oder spontan im metaphysischen Sinn, sondern ein Echo dessen, was wir gegenwärtig wahrnehmen und durch vergangene Wahrnehmungen bereits gespeichert haben.

Spontane oder kreative Gedanken erscheinen oft neu und einzigartig, doch auch sie entstehen auf Basis bereits vorhandener Erfahrungen und gespeicherter Konzepte. Die Hirnforschung zeigt, dass kreative Ideen nicht aus dem Nichts entstehen, sondern durch unbewusste Rekombination und neue Verknüpfungen bekannter Informationen. Der Neurowissenschaftler Marcus Raichle beschreibt das sogenannte Default Mode Network“ (DMN) – ein Netzwerk im Gehirn, das aktiv ist, wenn wir nicht gezielt an etwas arbeiten, sondern unsere Gedanken frei fließen lassen. Dieses Netzwerk spielt eine Rolle bei der Verknüpfung und Neuanordnung von Informationen, insbesondere in Verbindung mit anderen Hirnarealen. Oft treten kreative Einfälle in Momenten der Ruhe oder Muße auf – genau deshalb kommen uns die besten Ideen häufig unter der Dusche, beim Spazierengehen oder in anderen entspannten Situationen, in denen das Gehirn unbewusst arbeitet.

Doch Gedanken sind nicht nur kreative Verknüpfungen bereits vorhandener Informationen, sondern auch direkte Reaktionen auf das, was wir gerade erleben. Unsere aktuelle Wahrnehmung beeinflusst, welche Gedanken in einem bestimmten Moment entstehen.

Ein einfaches Beispiel: Sehen wir einen lustigen Film, entstehen in unserem Gehirn lustige Gedanken; sehen wir einen traurigen Film, entstehen traurige Gedanken.

Auch unser Wunsch, etwas zu tun, wird durch vorangegangene Eindrücke geformt. Ein Mensch, der Lokomotivführer werden möchte, hat in irgendeiner Form bereits Berührung mit diesem Thema gehabt – sei es durch eigene Erlebnisse, durch Erklärungen anderer oder durch Erzählungen in Medien. Ein Buschmann, der nie eine Lokomotive gesehen oder davon gehört hat, wird diesen Wunsch nicht entwickeln. Ebenso entstehen Erfindungen nicht aus dem Nichts, sondern weil unsere Umwelt bestimmte Prinzipien vormacht: Wer das Rad erfand, hatte zuvor Erfahrungen mit rollenden Objekten wie Steinen gemacht. Flugzeuge wurden inspiriert durch den Anblick von Vögeln.

In diesem Zusammenhang spricht man von Inspiration. Das Cambridge Dictionary definiert Inspiration als "eine Quelle oder ein Auslöser für eine Idee oder eine Handlung." Damit wird deutlich, dass Gedanken nicht isoliert entstehen, sondern durch äußere Einflüsse und bestehende Denkstrukturen angestoßen werden.

Gedanken werden auch durch Kommunikation geformt. Hören Menschen eine Rede, verarbeiten sie die Informationen je nach ihrem Vorwissen und ihren Erfahrungen unterschiedlich. Manche nehmen das Gehörte direkt an und haben künftig entsprechende Gedanken. Die Gedanken sind also von einem Kopf auf andere Köpfe übertragen worden. 

Andere Zuhörer reagieren vielleicht kritisch, weil ihre bisherigen Erfahrungen und Meinungen im Widerspruch zum Gehörten stehen. Doch auch diese kritische Haltung ist eine Reaktion auf das Gehörte, verknüpft mit vorherigen Prägungen und Wertesystemen. Das bedeutet: Selbst wenn jemand einer Idee widerspricht, ist sein Widerspruch (der ja auch ein Gedanke ist) ebenfalls eine Folge eines Umweltreizes (die soeben gehörte Rede) in Kombination mit vergangenen Umweltreizen (meinungsbildende Eindrücke in der Vergangenheit). Vereinfacht ausgedrückt: Das Gehirn vergleicht die Informationen, die neu eingegeben werden, mit den Informationen, die in der bereits vergangenen Lebenszeit eingebeben wurden, und verarbeitet diese zu entsprechenden Gedankeninhalten.

Unsere Gedanken sind also kein autonomes Produkt unseres freien Willens, sondern lediglich ein Echo unserer gegenwärtigen und vergangenen Umwelt. Man könnte auch sagen: Wir denken nicht - wir werden gedacht. Wir können nur das denken, was von außen in uns hineingelangt. Wie ein Eintopf nur durch die Zutaten entsteht, die in ihn hineingegeben werden, so können auch unsere Gedanken nur aus den Informationen entstehen, die unser Gehirn aufgenommen und mithilfe von Informationen aus der Vergangenheit verarbeitet hat. 

Daher müssen wir nicht alles glauben, was wir denken. Und wir müssen uns auch nicht zwangsläufig mit unseren Gedanken identifizieren. Was wir jedoch tun können und sollten, ist darauf zu achten, womit wir unser Denken speisen: Welche Lektüre wir wählen, welche Medien wir konsumieren und welche Gedankenmuster wir fördern. Denn obwohl wir nicht unsere Gedanken sind, beeinflusst das, was in unser Bewusstsein gelangt, unsere innere Welt – und letztlich auch unser Handeln.

Doch was sind wir, wenn nicht die Summe unserer Gedanken? Ich möchte es mal so ausdrücken: Wir sind die Gesamtheit dessen, was ist, wenn wir einfach nur sind. Wenn wir einfach nur aufgehen im gegenwärtigen Moment.








Was macht ein Zen-Mönch, wenn er ins Gefängnis kommt? - Erst mal sitzen!


Der Sturm der Gedanken

In einem kleinen Zen-Kloster, tief in den Bergen Japans, lebte ein weiser alter Zen-Meister namens Hakuin. Jeden Tag praktizierte er Zazen, das stille Sitzen, und lehrte seine Schüler die Kunst der Meditation. Einer seiner Schüler, ein junger Mönch namens Daichi, kämpfte oft mit rastlosen Gedanken und innerer Unruhe.

Eines Morgens, nach einer besonders unruhigen Nacht, ging Daichi zu Meister Hakuin und sagte: "Meister, ich verstehe die Meditation nicht. Ich sitze still, aber mein Geist ist wie ein tobender Sturm. Wie kann ich ihn zur Ruhe bringen?"

Meister Hakuin lächelte weise und antwortete: "Daichi, komm mit mir."

Er führte Daichi zu einem kleinen Teich hinter dem Kloster. Der Teich war normalerweise klar und ruhig, doch an diesem Tag war er aufgewühlt und trüb, weil ein Sturm in der Nacht das Wasser durcheinandergebracht hatte.

Meister Hakuin sagte: "Schau auf das Wasser, Daichi. Es ist aufgewühlt und trüb, genauso wie dein Geist. Aber was passiert, wenn wir einfach nur still am Ufer sitzen und warten?"

Daichi setzte sich neben den Meister und sie schwiegen beide. Minuten vergingen, dann eine Stunde. Allmählich begannen sich die Schwebstoffe im Wasser zu setzen, und der Teich wurde klarer und klarer. Schließlich spiegelte sich der Himmel ruhig im stillen Wasser.

Meister Hakuin sprach: "Siehst du, Daichi? So ist es auch mit deinem Geist. Wenn du still sitzt und geduldig bist, setzt sich der Sturm deiner Gedanken von selbst. Die Klarheit und Ruhe kommen nicht durch Zwang, sondern durch das einfache Sein. So bringt Zazen den Geist zur Ruhe."

Daichi verstand nun. Er bedankte sich bei Meister Hakuin und kehrte zu seiner Meditation zurück, diesmal mit einer neuen Erkenntnis und einem Herzen voller Frieden. Mit der Zeit lernte er, dass die wahre Stille nicht das Fehlen von Gedanken ist, sondern das Annehmen und Loslassen jedes Gedankens im Moment des Seins.

Und so fand Daichi, dass durch die einfache Praxis des Zazen, der Geist von selbst zur Ruhe kommt, wie das Wasser im Teich.





Der Sturm der Emotionen

Es war einmal ein Zen-Schüler namens Hiroshi, der oft von seinen Emotionen überwältigt wurde. Besonders ärgerlich war es für ihn, dass er seine Wut und Frustration nicht kontrollieren konnte, was ihm im Alltag und im Umgang mit anderen Menschen immer wieder Probleme bereitete. Eines Tages beschloss er, seinen Meister, Zen-Meister Akira, um Rat zu fragen.

Hiroshi fand den Meister in seinem Garten, wo er gerade die Pflanzen pflegte. „Meister Akira,“ begann Hiroshi, „ich komme nicht mit meinen Emotionen zurecht. Sie überwältigen mich und ich fühle mich ihnen ausgeliefert. Was soll ich tun?“

Meister Akira lächelte und sagte: „Komm mit, Hiroshi.“ Sie gingen zusammen in den Garten, wo eine alte, mächtige Eiche stand. „Betrachte diesen Baum,“ sagte Meister Akira. „Was siehst du?“

„Ich sehe eine starke Eiche, die fest verwurzelt ist,“ antwortete Hiroshi.

„Stell dir nun vor, dass ein starker Sturm aufzieht,“ sagte der Meister. „Was passiert mit den Blättern und Ästen des Baumes?“

Hiroshi dachte nach und sagte: „Die Blätter und Äste werden vom Wind hin- und hergeworfen. Aber der Baum bleibt fest verwurzelt.“

„Genau,“ sagte Meister Akira. „Deine Emotionen sind wie der Wind, der die Blätter und Äste bewegt. Aber dein wahres Selbst ist wie der Stamm des Baumes, fest verwurzelt und beständig. Wenn du dich auf deine Wurzeln konzentrierst und deinen inneren Frieden findest, können die Winde der Emotionen dich nicht so leicht erschüttern.“

„Aber wie kann ich lernen, mich auf meine Wurzeln zu konzentrieren?“ fragte Hiroshi.

„Durch Achtsamkeit und Meditation,“ erklärte Meister Akira. „Setz dich täglich in Stille und beobachte deine Gedanken und Gefühle, ohne sie zu bewerten oder zu bekämpfen. Sei dir ihrer bewusst, wie du dir des Windes bewusst bist. Atme tief und ruhig. Akzeptiere, dass sie da sind, aber erkenne auch, dass sie vorübergehen. So wie der Baum trotz des Sturms fest bleibt, so wirst auch du lernen, trotz deiner Emotionen ruhig zu bleiben.“

Hiroshi begann, die Ratschläge seines Meisters in die Tat umzusetzen. Jeden Morgen und Abend setzte er sich in Meditation und beobachtete seine Gedanken und Gefühle. Anfänglich war es schwierig, doch nach und nach bemerkte er, dass seine Emotionen an Macht verloren. Er fühlte sich weniger von ihnen beherrscht und mehr in der Lage, sie zu akzeptieren und loszulassen.

Eines Tages, als Hiroshi wieder einmal meditierte, spürte er eine Welle von Ärger aufsteigen. Statt dagegen anzukämpfen, erkannte er sie einfach als das, was sie war – eine vorübergehende Regung seines Geistes. Er atmete tief und ließ die Wut wie den Wind an sich vorbeiziehen. Zum ersten Mal fühlte er sich frei von ihren Fesseln.

Als Hiroshi seinen Meister erneut traf, bedankte er sich. „Meister Akira, dank Ihrer Anleitung habe ich gelernt, meine Emotionen zu akzeptieren und nicht von ihnen überwältigt zu werden. Mein Geist ist ruhiger geworden.“

Meister Akira lächelte weise. „Denke daran, Hiroshi, dass dies ein fortlaufender Prozess ist. So wie der Wind immer wieder die Äste und Blätter bewegt, so wirst auch du immer wieder Emotionen erleben. Aber mit Achtsamkeit und Akzeptanz kannst du lernen, fest verwurzelt zu bleiben und die Stürme des Lebens mit Gelassenheit zu ertragen.“

Und so setzte Hiroshi seine Zen-Praxis fort und fand immer mehr Frieden in seinem Inneren, indem er die Stürme seiner Emotionen mit Akzeptanz und Gelassenheit begegnete.